„Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten.“

8. Mai 2020

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8. Mai 1945 – Das Morgenrot der Menschheit! (Peter Gingold)

Mitglieder der Gelsenkirchener VVN-BdA sind – man glaubt es kaum – nicht nur in Gelsenkirchen aktiv. Wir dokumentieren in der Folge die Rede eines unserer Mitglieder, die er am heutigen 8. Mai, dem Tag der Befreiung Europas vom Faschismus, bei Odak in Münster (!) gehalten hat. Es gilt wie immer in solchen Fällen das gesprochene Wort.

Wirklich,
ich lebe in finsteren Zeiten. Das arglose Wort ist töricht.
Eine glatte Stirn deutet auf Unempfindlichkeit hin…..1

So möchten wir, die Odak-Gruppe Münster, unseren kleinen Beitrag in die Serie der Kundgebungen zum diesjährigen 8. Mai, beginnen.

Wir begrüßen in Abwesenheit herzlich alle Rednerinnen und Redner, Vertreterinnen und Vertreter der anderen Gruppen, die sich auf die neue, schwierige Situation einstellen, um diesen Tag zum Anlass nehmen, auf wichtige Probleme unserer Gesellschaft im Rahmen dieser Möglichkeiten aufmerksam zu machen.

Bei diesem schönen Wetter machte unlängst ein Freund von mir eine Radtour durch die benachbarten Niederlande. Dort las er an verschiedenen Plakaten den Slogan

„75 Jahre Freiheit“

Er stutzte, erst jetzt wurden ihm zwei Dinge bewusst:

Erst 75 Jahre ist es her, dass der deutsche Faschismus in Europa und der Welt gewütet hat, sodass es auch heute noch Millionen von Menschen in Europa und auf der Welt gibt, die diese Zeit erlebt haben; als Täter, als Opfer, als Karrierist, als Kriegsgewinnler, als Mitläufer, als passiver Zuschauer oder als überzeugter Nazi.
Dass fast alle Nationen diesen Tag als „Tag der Freiheit“ oder als „Tag der Befreiung“ in die Kalender verewigt haben.

Warum wir (West-) Deutschen nicht?
Warum konnte sich bislang keine Regierung der Bundesrepublik Deutschland dazu durchringen, den 8. Mai tatsächlich und konsequent als „Tag der Befreiung“ zu deklarieren, in die Kalender zu schreiben und fächendeckend all der Millionen Opfer des Hitlerfaschismus zu gedenken?

Gewiss, man fand einen Kompromiss:

„Die Niederlage, die eine Befreiung war.“2

Wir fragen uns: Wessen Niederlage ist hier gemeint?
Welche Perspektive wurde hier eingenommen?

Eine Niederlage kann es nur für diejenigen sein, die sich für den Krieg einen Sieg herbeigewünscht haben, aber nicht für uns!
Nein, der 8. Mai war keine Niederlage, der 8., bzw. der neunte Mai war eine Befreiung auch und gerade für uns in Deutschland lebenden Menschen.
Gewiss, die Hauptlast der Befreiung trugen all diejenigen Frauen und Männer, die ihr Leben für genau diesen Tag hergegeben haben;

im aufopferungsvollen Kampf als Partisanin oder Partisan in den Bergen oder Wäldern Europas in den von Nazi- und SS-Herrschaft besetzten Gebieten,
als oft noch jugendlicher Soldat oder Soldatin in den Armeen der Anti-Hitlerkoalition,
als politische Verfolgte oder Verfolgter,

An dieser Stelle gedenken wir auch all der Opfer, die ihr Leben aus Gründen geben mussten, denen die NS-Ideologie das Recht auf Leben abgesprochen haben
als ethnisch oder rassisch nicht als „arisch definierter“ Mensch
als Mensch jüdischen Glaubens oder als Mensch mit sogenannten „jüdischen Anteilen“
in der Familiengeschichte
als Mensch, dessen Partnerschaftsvorstellungen von denen des faschistischen Systems abwich
und allen anderen Menschen, dessen Leben auf die ein oder andere Weise in den Jahren der
Naziherrschaft zerstört oder ruiniert wurde.

Gestattet uns die Überlegung, dass sich die Herrschaft der NSDAP, vereinfacht ausgedrückt, in letzter Konsequenz in zwei große Blöcke gliedern lässt.

In Krieg
und in Faschismus

wobei der Faschismus erst die Voraussetzung für den Krieg schuf.
Allerdings darf ein Gedenken nicht beim Vergangenen stehenbleiben und zum Ritual degradiert werden.
Das Gedenken am 8. Mai erlaubt und gebietet den Blick auf das Gegenwärtige, um das Wesen des Schwures von Buchenwald

„Nie wieder Krieg- nie wieder Faschismus“

lebendig zu halten.

Denn, das Augenscheinliche ist, dass der achte Mai 1945 zwar zeitlich von Tag zu Tag weiter in die Ferne rückt, die politischen Zustände, die ihn erforderlich machten, jedoch näher zu rücken drohen.

Zum Thema Faschismus ist bereits vieles bekannt.
Tausende Menschen stellen sich den alten und neuen Faschisten konsequent in den Weg. Dabei sind es oft jugendliche Menschen, die wirklich Alles geben, auch ihre Zukunft und ihre Freiheit, um die Ausbreitung faschistischen Gedankenguts auf der Straße, im Netz, in den Schulen und Universitäten zu stoppen. Es ist eben nicht einfach, sich den Faschisten in den Weg zustellen, die dann noch von der Polizei geschützt werden, „um das Recht auf freie Meinungsäußerung“ zu schützen.

Wir stellen für immer fest: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!

An dieser Stelle möchte ich auf die Rede von Odak am 28. Februar hier in Münster verweisen, in der der Zusammenhang zwischen der Ausbreitung faschistischen Gedankenguts, faschistischer Koalitionspolitik und rassistisch motivierten Morden, aus migrantischer Perspektive, klar benannt ist.

Zum Thema Krieg
Auch die Gefahr des Ausbruchs eines weiteren (Welt-) krieges ist keineswegs gebannt.
Zögen wir jetzt, im Mai 2020, eine gedachte Linie zwischen den bellizistischen Rivalen, so stünden die USA und die Bundesrepublik samt der NATO auf der einen Seite, Russland und China und andere kleinere Staaten, auf der anderen.

In welchen Ländern, die die faschistische Wehrmacht okkupierte, stehen jetzt Nato- oder Bundeswehrsoldaten? In Polen, Bosnien, Estland, Litauen, in Tschechien, in der Slowakei, in Griechenland, in Rumänien und Bulgarien im international nicht anerkannten Kosovo und in vielen anderen.
Kurzum, in den Ländern, die mitunter den meisten Blutzoll unter der faschistischen Herrschaft zu leisten hatten; Polen, Griechenland, Jugoslawien, die Tschechoslowakei und die Sowjetunion.
Vor wenigen Wochen sollte das bislang größte Kriegsmanöver, Defender 2020, durchgeführt werden. Die Panzer rollten bereits über die Trassen, aus allen Richtungen, vom Atlantik bis gen Osten, durch Corona legten sie (vorerst) den Rückwärtsgang ein…

Nun werden viele denken; ein Krieg gegen Russland ist ausgeschlossen. Aus Zeitgründen verzichten wir auf Details politischer Analysen und beschränken uns auf ein Zitat.
Leider dürfen wir in Deutschland vor gut einem Jahr wieder folgendes in einer der renommiertesten Zeitungen, in der Welt Deutschlands lesen:
Wir zitieren:
„Es kann sein, dass ein Krieg (…) geführt werden muss. Doch dann darf er nicht mit einem so plumpen wie hilflosen einzelnen Symbolschlag beginnen, der weder die Russen noch Assad beeindrucken wird. (…) Krieg gegen Assad sollte mit einem Ziel und der Frage geführt werden: Lässt sich das Assad-Regime mit einem Waffengang auslöschen? Sind Amerikaner und Europäer bereit, dafür mit Hunderttausenden von Soldaten in dieses Land zu ziehen und im schlimmsten Fall gegen Russen und Iraner zu kämpfen?“3

Und was ein mögliches Szenario gegen China angeht:
Generalleutnant a.D. Ben Hodges, der im Dezember 2017 seine berufliche Karriere nach dreijähriger Tätigkeit als Oberkommandierender der US-Landstreitkräfte in Europa beendete, äußerte sich am 24. Oktober 2018 auf einer Konferenz in Warschau zu einem möglichen Krieg zwischen den USA und China; er halte ihn zwar nicht für unvermeidlich, aber doch für sehr wahrscheinlich. Zum Zeitpunkt befragt, gab er an: „in 15 Jahren“4

Liebe Freundinnen und Freunde,
lassen wir es nicht dazu kommen!
wir begannen unseren kleinen Beitrag mit Brecht und möchten gerne mit ihm schließen:

Lasst uns das Tausend Mal Gesagte immer wieder sagen,
damit es nicht einmal zu wenig gesagt wird, auch wenn es schon wie Asche in unserem Munde ist…
(…) denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind,
wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden.5

Abschließend möchten wir darauf hinweisen, dass uns der achte Mai als ein würdiges Datum erscheint, zu erklären, dass wir die Themen „Krieg und Faschismus“ in unseren zukünftigen Veranstaltungen, Beiträgen und Aktionen weiter in den „Fokus“ rücken werden, denn nichts anderes bedeutet das Wort „Odak“. Hierbei freuen wir uns, wie bei dieser Veranstaltung, über das Interesse, die Motivation und die Bereitschaft aller Menschen und aller beteiligten Gruppen, mit uns
gemeinsam zu agieren.

Nie wieder Krieg!
Nie wieder Faschismus!
Europa darf nicht wieder zum Aufmarschgebiet gegen Russland werden!
Entlarvt und stoppt die Kriegstreiber im eigenen Land!
Savaşa hayır!
Faşizme karşı omuz omuza!

Vielen Dank!