„Kritische Organisationen sollen mundtot gemacht werden!“
29. Mai 2019
DIE LINKE, Gemeinnützigkeit, Rat der Stadt
In der Ratssitzung am 23. Mai 2019 wurde mit Zustimmung aller Parteien bei Enthaltung der AfD eine Resolution verabschiedet, in der die Landesregierung aufgefordert wird, „alle Bestrebungen einzustellen, welche die Aberkennung der Rechtstellung der VVN-BdA als gemeinnützige Organisation zum Ziel haben“. Im Verlauf der Ratssitzung hatte Die Linke ihren Antrag zugunsten des ausführlicheren Antrags der SPD zurückgezogen. Aufgrund der Darstellung, die weit über die Kritik an dem angedrohten Entzug der Gemeinnützigkeit der VVN-BdA hinausgeht, dokumentieren wir an dieser Stelle das Redemanuskript des Fraktionsvorsitzenden der Die Linke, Martin Gatzemeier. Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren,
wir haben diesen Antrag eingebracht aus der Überzeugung heraus, dass es kritische Organisationen wie die VVN/BdA weiterhin geben muss. Dazu bedarf es auch einer Finanzierung, die in diesem Fall nur durch Spenden gewährleistet wird.
Sollte eine Aberkennung der Gemeinnützigkeit erfolgen, könnte dies im schlimmsten Fall das Ende des Vereins bedeuten. Ohne die Möglichkeit Spendenbescheinigungen auszustellen, gäbe es vermutlich keine oder deutlich weniger Spenden.
Das vielfältige Wirken der VVN, nicht nur in Gelsenkirchen, zeigt, dass es sie geben muss.
Man muss den Vorstoß, der VVN/BdA die Gemeinnützigkeit zu entziehen im Gesamtkontext der letzten Monate betrachten. Kritische Organisationen mundtot zu machen, indem man ihnen die Gemeinnützigkeit entzieht, hat scheint`s momentan Hochkonjunktur.
So hat z.B. der Bundesfinanzhof am 26.02.2019 entschieden, das für attac positive Urteil der ersten Instanz über die Gemeinnützigkeit aufzuheben und an das Hessische Finanzgericht zurückzuverweisen. Die Begründung: die „Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung […] keinen gemeinnützigen Zweck erfüllt.“
Das ist hanebüchen, denn selbstredend ist beispielsweise das Deutsche Atomforum e.V., ein Lobbyverband von Unternehmen, Institutionen und Einzelpersonen, der sich für die nichtmilitärische Nutzung von Kernenergie einsetzt, gemeinnützig. Die Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik e.V. setzt sich seit 61 Jahren als gemeinnützig anerkannter Verein für die Interessen der Rüstungsindustrie ein.
Auch der mittlerweile anno 2016 aufgelöste Förderverein der Initiative neue soziale Marktwirtschaft war – man glaubt es kaum – gemeinnützig!
Dieser Verein war ausschließlich ein hübsches PR-Anhängsel der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Die INSM betrieb eine üble Kampagne zur Ruinierung des Sozialstaates nach der anderen und war in dieser Hinsicht mindestens so rührig, wie die Bertelsmann Stiftung.
Der Förderverein betrieb Lobbyarbeit und massive Medienbeeinflussung wie die INSM und trotzdem kam seltsamerweise niemand aus der Regierung auf die Idee, dieser dubiosen, gemeinwohlschädlichen Organisation die Gemeinnützigkeit zu entziehen. Vermutlich, weil diese Organisationen den nach Meinung der Regierung richtigen Zielen dienen.
Wenn es da um Organisationen geht wie die Deutsche Umwelthilfe e.V. oder attac oder die VVN-BdA NRW sieht es da schon anders aus. Solchen vermeintlichen Nestbeschmutzern will man die Gemeinnützigkeit entziehen und ihnen damit die finanzielle Basis abschnüren.
Zu kritisch, das hat die Linksfraktion schon in ihrer Rede zu den Fahrverboten in Gelsenkirchen im Rat am 14.02 2019 angemerkt, dürfen kritische Organisationen nicht sein, sonst versucht man, ihnen den Geldhahn zuzudrehen. Wo kämen wir denn da hin, wenn Organisationen, die sich für die Einhaltung von Umweltschutzgesetzen oder für ein verantwortungsvolles Finanzsystem oder gegen Rechtsradikalismus und Antisemitismus einsetzen auch noch steuerlich begünstigt würden. Da loben wir uns doch „kritische Organisationen“, die bei jeder Regierungs-PR-Veranstaltung Männchen machen. Satire aus.
Besonders die CDU und ihr nahestehende Kreise scheinen mit kritischen Organisationen, die sich für Bürgerinteressen einsetzen, Probleme zu haben und möchten sich nicht länger mit solchen vermeintlichen Krakeelern auseinandersetzen müssen. Da schreckt man dann auch nicht davor zurück, die finanzielle Keule einzusetzen. Attac sieht somit für diese Entwicklung in Hessen auch ganz klar die politische Verantwortung bei der schwarz-grünen Landesregierung. Ein Vorstoß der Umwelthilfe die Gemeinnützigkeit abzuerkennen stammt von einem CDU Landesverband aus Baden- Württemberg.
Attac ist die Gemeinnützigkeit entzogen worden, das ist ungeheuerlich. Jetzt droht man der VVN und der Umwelthilfe unverhohlen mit der Entziehung, wenn diese Organisationen weiterhin ihre gute, verdienstvolle Arbeit machen. Man empfindet offenbar die Arbeit dieser Organisationen als Einmischung, nicht als eine wertvolle Bereicherung.
Bei der gesamten Diskussion kann einem aufmerksamen Beobachter nicht die politische Schlagseite entgehen, die derartige Vorstöße haben, und die eindeutig demokratiegefährdend sind.
Wir sollten als Rat der Stadt Gelsenkirchen ein deutliches Zeichen setzen, dass es mit uns kein Weiter-so in dieser Frage geben wird. Organisationen wie die VVN/BdA müssen gemeinnützig bleiben, denn ihre Arbeit ist ein wichtiger, wertvoller Baustein bei der geschichtlichen Aufarbeitung des deutschen Faschismus. Ihre Arbeit muss gewürdigt und unterstützt, nicht aus politisch durchsichtigen Gründen behindert werden. Alles andere würde der demokratischen Kultur unseres Landes schweren Schaden zufügen.
Wir hoffen auf eine große Zustimmung zu unserem Antrag.
Wir sehen den Antrag der SPD als Ergänzungsantrag, der weite Teile unserer Resolution übernommen hat und einige Teile ergänzt hat. Wir sind daher bereit, den Text des SPD-Antrages zu übernehmen.
Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.