Offener Brief zur Kampagne „8. Mai zum Feiertag machen“
2. Juni 2020
8. Mai, Aktionsbündnis gegen Rassismus und Ausgrenzung, Offener Brief
Das Gelsenkirchener Aktionsbündnis gegen Rassismus und Ausgrenzung, in dem auch die Gelsenkirchener VVN-BdA mitarbeitet, hat sich mit einem Offenen Brief an den Oberbügermeister der Stadt Gelsenkirchen und Schirmherrn der „Demokratischen Initiative“, Frank Baranowski gewendet. Das Aktionsbündnis wendet sich darin an ihn mit der Bitte um Unterstützung der Kampagne der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano und der VVN-BdA, den 8. Mai als Tag der Befreiung vom Faschismus zum Feiertag zu machen. Eine solche Aufwertung dieses Tages kann nach der Auffassung des Aktionsbündnisses dazu beitragen, die Bedeutung der Befreiung 1945 für unsere heutige demokratische Verfassung stärker bewusst zu machen und ein konsequenteres politisches Handeln gegen rechts durchzusetzen. Wir dokumentieren hier den vollständigen Text.
An den
Oberbürgermeister der Stadt Gelsenkirchen
und Schirmherrn der „Demokratischen Initiative“
Herrn Frank Baranowski
45875 Gelsenkirchen
Offener Brief zur Kampagne „8. Mai zum Feiertag machen“
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Baranowski,
das Gelsenkirchener Aktionsbündnis gegen Rassismus und Ausgrenzung und zahlreiche weitere Unterstützer*innen wenden sich mit diesem Schreiben an Sie mit der Bitte um Unterstützung der Kampagne der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano und der VVN-BdA, den 8. Mai als Tag der Befreiung vom Faschismus zum Feiertag zu machen.
In diesem Jahr jährte sich der 8. Mai zum 75. Mal. Der von Nazi-Deutschland ausgegangene Zweite Weltkrieg, ein aggressiver Eroberungs- und Vernichtungskrieg, in dessen Schatten auch der Holocaust stattgefunden hatte, war mit einer unglaublichen Zerstörungsgewalt auf Deutschland zurückgefallen, das „Dritte Reich“ am 8. Mai 1945 zerstört, besiegt, besetzt und geteilt.
Auch die Stadt Gelsenkirchen war von den Auswirkungen des Holocaust wie des Krieges massiv betroffen. Die Jüdische Gemeinde erinnert in jedem Jahr am 27. Januar in doppelter Weise an die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz und an die erste Deportation Gelsenkirchener Juden in das Getto Riga und das KZ Kaiserwald drei Jahre zuvor. Die Stadtchronik der Stadt verzeichnete in den beiden letzten Kriegsjahren massive Luftangriffe auf alle Stadtteile. In der jüngst vom Institut für Stadtgeschichte digitalisierten Chronik für das Jahr 1945 finden sich bis April seitenweise Auflistungen der betroffenen Stadtgebiete und Straßen und der Opfer des Bombardements. Insgesamt verloren zwischen 1939 und 1945 rund 20.000 Gelsenkirchener Bürger*innen aus unterschiedlichen Gründen ihr Leben.
Inzwischen leben nur noch wenige Menschen, die an diese Zeit eigene Erinnerungen haben. Stattdessen erleben wir seit den 1990er Jahren einen verstärkten Aufschwung rechter und rechtsextremer Parteien in unserer Stadt, angefangen von den Republikanern, über Pro NRW bis hin zur AfD, die alle in den Rat der Stadt eingezogen sind. Nach Hakenkreuzschmierereien und Morddrohungen gegenüber Politikern erleben wir gerade in jüngster Zeit, wie sich rechte Strukturen auch in unserer Stadt bilden und aktuelle Unsicherheiten für ihre Ziele auszunutzen versuchen.
Sie selbst haben in ihrer Rede am 9. November 2019 während der Gedenkveranstaltung der Demokratischen Initiative anlässlich der Reichspogromnacht angemerkt: „Wir stellen fest, dass auch in Deutschland antisemitische Einstellungen nicht verschwunden sind. (…) Zugleich müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass Rechtsextremismus kein Phänomen von Randgruppen ist.“ Sie haben aber gleichermaßen deutlich gemacht, dass Sie und alle Demokraten in Gelsenkirchen, das nicht akzeptieren werden: „Und für Nazis gibt es eben keine Toleranz! Das darf nirgendwo in Deutschland der Fall sein, und schon gar nicht in unserer Stadt, Gelsenkirchen!“
Gegenüber der erstarkenden Rechten, die sich „das Land und die Geschichte“ zurückholen will, wäre es ein starkes demokratisches und antifaschistisches Signal, den 8. Mai bundesweit zum Feiertag zu erklären! Eine solche Aufwertung dieses Tages kann nach der Auffassung des Aktionsbündnisses dazu beitragen, die Bedeutung der Befreiung 1945 für unsere heutige demokratische Verfassung stärker bewusst zu machen und ein konsequenteres politisches Handeln gegen rechts durchzusetzen.
Natürlich wissen auch wir, dass die Stadt Gelsenkirchen formal nicht für die Bestimmung bundesweiter Feiertage zuständig ist. Ein entsprechendes Votum wäre dennoch, in Verbindung mit vergleichbaren Initiativen anderer Kommunen und Organisationen, ein wichtiges Signal sowohl an die lokale Einwohnerschaft wie an die politisch Verantwortlichen in Land und Bund, sich in diesem Sinne zu engagieren.
Aus diesem Grund fordern wir Sie und den Rat der Stadt Gelsenkirchen dazu auf, sich mit allen Ihnen zur Verfügung stehenden politischen und administrativen Mitteln dafür einzusetzen, dass der 8. Mai zum bundesweiten gesetzlichen Feiertag erklärt wird.
Mit freundlichen Grüßen